Anwaltskanzlei Meusel
gegründet am 01. Juli 1990

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15.07.2024

"Kein Beschluss nach Aktenlage: Kinder müssen vom Familienrichter angehört werden

Über Kinder darf nicht wie über Sachen - also nie nach Aktenlage - entschieden werden. Das Gericht
muss sich stets einen persönlichen Eindruck vom betroffenen Kind verschaffen und es kennenlernen. Weil
es daran mangelte, hob das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) die Entscheidung eines Familienrichters
als verfahrensfehlerhaft auf und gab ihm auf, die erforderliche Anhörung nachzuholen.
Es ging um einen unstreitig alkoholkranken Vater, der rückfällig geworden war. Jemand hatte
anonym eine Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt gemeldet, das bei einem Hausbesuch das Kind dann
auch in Obhut nahm. Im Verfahren behauptete der Vater, er sei nun abstinent und könne das Kind
versorgen. Außerdem wolle das Kind auch wieder bei ihm wohnen. Von seiner Abstinenz war das Gericht
jedoch nicht überzeugt. Es käme wegen der objektiven Kindeswohlgefährdung auf den Kindeswillen
sowieso nicht an - und so veranlasste der Richter auch keine Anhörung des Kindes.
Laut OLG ist die persönliche Anhörung des Kindes jedoch zwingend. Sie dient auch dem
Verschaffen eines Eindrucks von dem Kind durch das Familiengericht, um daraus Rückschlüsse auf
dessen Befindlichkeit, Wünsche, Neigungen und Bindungen zu ziehen. Das OLG habe daher die Aufgabe,
das Verfahren unter Berücksichtigung des Alters, des Entwicklungsstands und der sonstigen Fähigkeiten
des Kindes so zu gestalten, dass das Kind seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden
lassen kann. Sollte tatsächlich, wie das erstinstanzliche Gericht mutmaßt, der Wille des Kindes mit dessen
Wohl nicht in Einklang zu bringen sein, ist dies in der Entscheidung zu begründen. Das Gericht hat von
vornherein die Pflicht, den Kindeswillen im Rahmen der Amtsermittlung zu erforschen. Denn dieser sei zu berücksichtigen, soweit das mit Kindeswohl vereinbar ist. Eine angemessene Berücksichtigung findet der
Kindeswille selbst dann, wenn er gegen andere Kindeswohlkriterien abgewogen und ihm im Ergebnis
nicht nachgekommen wird.
Hinweis: Seit Juni 2021 gilt die Anhörungspflicht unabhängig vom Alter des Kindes. Eine
Unterscheidung nach dem Kindesalter hielt der Gesetzgeber im Hinblick darauf für nicht erforderlich, dass
die Fähigkeiten eines Kindes, einen eigenen Willen zu entwickeln und im Verfahren zum Ausdruck zu
bringen, individuell verschieden und nicht vom Alter des Kindes abhängig sind. Bereits zuvor war die
Anhörung von Kindern jedenfalls ab einer Altersgrenze von drei Jahren als erforderlich erachtet worden.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.02.2024 - 18 UF 221/23
Fundstelle: www.landesrecht-bw.de
zum Thema: Familienrecht
Quelle: Aktuelle Rechtsinformationen 07/2024 von Deubner Recht & Steuern GmbH & Co. KG"



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